11.11.2013
Zur Reichspogromnacht: Auch Fischhändler unter den Opfern
Am vergangenen Sonnabend jährte sich die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zum 75. Mal. Anlässlich des Jahrestags der auch als "Reichskristallnacht" bekannten Mord- und Terroraktion der Nationalsozialisten soll daran erinnert werden, dass auch zahlreiche jüdische Fischhändler unter dem NS-Regime enteignet, vertrieben und ermordet wurden. Exemplarisch sei die Hauptstadt Berlin herausgegriffen. Wissenschaftler der Humboldt-Universität listen für die Jahre 1930 bis 1945 fast ein Dutzend Fischhandelsunternehmen mit jüdischen Inhabern auf. Nur zwei, deren Schicksal bekannt ist, seien stellvertretend erwähnt.
Hirsch Solländer: Zur Schließung gezwungen
Im Jahre 1917 gründete Hirsch Solländer in der Zentral-Markthalle in Berlin-Mitte einen Fischstand. Der orthodoxe Jude war 1911 mit seiner Frau Tina und fünf Kindern aus dem polnischen Tarnów, 80 Kilometer östlich von Krakau, in die deutsche Hauptstadt gezogen. Solländer war auch Gründer der Gemeinde "Tempel von Tarnowa" in der Grenadierstraße. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden Gewerbetreibende "jüdischer Abstammung" in individuellen und systematisch organisierten Aktionen aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. 1937 erzwangen die Nazis die Aufgabe des Fischstandes in der Zentral-Markthalle, den Tina Solländer nach dem Tod ihres Mannes allein betrieben hatten. Ihren daraufhin in der Markthalle Keibelstraße eröffneten Stand musste sie Anfang 1938 schließen. Der erzwungenen Erwerbslosigkeit begegneten die Nationalsozialisten mit einer immer stärkeren Reduzierung der Sozialleistungen. Während drei Enkeltöchter von Hirsch und Tina Solländer, geboren zwischen 1923 und 1929, Ende 1939 bzw. im August 1940 nach Palästina emigrieren konnten, starben ihr Sohn Naftali (* 1903), ihre Schwiegertochter Rosa (* 1902) und ihre Enkelin Sonja (* 1929) 1942 im Ghetto von Minsk (Weißrussland), wohin sie deportiert worden waren.
Artur Friedländer: Ermordet 1942 in Lodz
Artur Friedländer war Anfang der 1920er Jahre mit seiner Frau Emma aus dem westpreußischen Dorf Garnsee - heute Gardeja/Polen - nach Berlin gekommen. Bis zur "Machtergreifung" hatte das Ehepaar mit seinem Fischgeschäft Lippmann & Friedländer in der Elsässer Straße 91 (heute: Torstraße 154) in Berlin-Mitte jährlich 30.000 Reichsmark Gewinn erwirtschaftet, schreibt die Berliner Zeitung (BZ). Erforscht hat die Familiengeschichte der Großneffe der Friedländers, der Berliner Kaufmann Michael Mamlock. Danach habe die Familie "ausgehalten, bis es nicht mehr ging". Denn das Geschäft sei nicht verkauft, sondern "wegen Boykottierung aufgehoben" worden, erinnert sich 1958 die frühere Angestellte Friedel Lewy. Am 24. Oktober 1941 werden die Friedländers aus ihrer Wohnung in der Gartenstr. 3 deportiert. Zur Sammelstelle in der geschändeten Synagoge in der Levetzowstraße dürfen sie nur zwei Koffer mit dem Nötigsten mitnehmen. Dann werden sie zum Bahnhof Grunewald getrieben und von dort aus mit dem zweiten Osttransport in das Ghetto im polnischen Lodz transportiert. Schon einen Tag nach der Abholung ist ihre Wohnung komplett geräumt. Ende Mai 1942 ist das jüdische Fischhändler-Ehepaar tot. Ein Familienalbum der Friedländers ist aktuell in der Ausstellung "Wir waren Nachbarn - Biografien jüdischer Zeitzeugen" im Rathaus Schöneberg zu sehen. bm
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