Küstenfischer Nord, Heiligenhafen - Beste Direktvermarktung 2014
Küstenfischer Nord, Heiligenhafen
Gastronomie sichert langfristig die Wertschöpfung
Quotenkürzungen, schwache Frischfisch-Preise und gesetzliche Beschränkungen machen Deutschlands Ostseefischern das Leben schwer. Doch Gastronomie und Direktvermarktung bieten den Küstenfischern Nord in Heiligenhafen eine attraktive Wertschöpfung. Der jetzt für 2,1 Mio. Euro vergrößerte „Treffpunkt Fischhalle“ ist in ein umfassendes touristisches Gesamtkonzept integriert, das hoffen lässt.
Das Kernstück der neuen Fischhalle ist ein 25 Meter langer Tresen, den der Ladenbauer Schich aus Bremerhaven konstruiert hat – zu erkennen am Schich-Markenzeichen: einem drehbaren Rondell für Frischfisch.
Die Situation der deutschen Ostseefischerei ist strenggenommen ein Trauerspiel. Reduzierte Fangquoten, schlechte Preise für rückläufige Anlandemengen und jetzt noch die anstehende drastische Einschränkung der Stellnetzfischerei (siehe Interview, S. 8) verleiden vielen Berufsfischern ihre Tätigkeit. Die Küstenfischer Nord eG in Heiligenhafen hat in den letzten Jahren die Folgen zu spüren bekommen: hatte die Fischereigenossenschaft Anfang 2011 noch 44 Mitglieder, so gehöretn ihr zwei Jahre später nur noch 29 Fischereibetriebe an. „Einige Betriebe haben wir abgewickelt, außerdem sind einige dänische Fischer, die ihr Schiff in Deutschland eingeflaggt hatten, weil hier die Quoten zunächst noch nicht auf die Kutter heruntergebrochen waren, jetzt wieder in der dänischen Fischerei tätig“, erläutert Ulrich Elsner. Als er im Jahre 2007 die Geschäftsführung der FG von Gretel Flindt übernahm, verbuchte die Genossenschaft – damals noch unter dem Namen Fischverwertung Heiligenhafen – Umsätze aus der Fischerei in Höhe von 13,5 Mio. Euro. Im vergangenen Jahr waren es gerade einmal 7,5 Mio. Euro.
Bei voller Belegung 274 Sitzplätze
„Unser Kerngeschäft ist die Fischerei, aber um das Unternehmen langfristig zu platzieren, benötigen wir die Wertschöpfung aus der Gastronomie“, begründet Ulrich Elsner die Einrichtung von Fischrestaurant und Frischfisch-Theke schon im Jahre 2007. Das Konzept wiederum war so erfolgreich, dass der „Treffpunkt Fischhalle“ in diesem Jahr erheblich vergrößert wurde. An der Kaje des Heiligenhafener Binnenhafens, im Schatten von Eisturm und vierstöckigem Verwaltungsgebäude, bietet die erweiterte Fischhalle bei Vollbelegung 274 Sitzplätze. Offiziell erst seit Mitte Juni eröffnet, hat die Gastronomie trotz der Kürze der Zeit schon wieder frühere Spitzenwerte von 400 bis 500 warmen Gerichten pro Tag erreicht. Die hohe Akzeptanz hatte auch die Expansion nach nur sechs Jahren erzwungen. „Die technische Infrastruktur insbesondere der Küche war nicht für die Mengen ausgelegt“, erklärt Elsner und erwähnt verstopfte Schmutzwasserleitungen, volle Fettabscheider, überlastete Abzugshauben und Mitarbeiter, die durch zu lange Wege gestresst waren. Das alles ist jetzt Vergangenheit.
Kernstück: Ein 25 Meter-Tresen von Schich
Volkstümliche Preise und der Blick auf den Hafen sind neben der Produktfrische, Qualität und großzügiger Portionierung Gründe dafür, dass zur Mittagszeit in der Saison freie Plätze rar sind.
Der Ladenbauer Schich aus Bremerhaven hat den Küchenbereich von insgesamt 90 Quadratmetern neu gestaltet, die Gerätetechnik ergänzt und Arbeitsabläufe optimiert. Auch das Kernstück der neuen Fischhalle, einen 25 Meter langen Tresen mit Rückbuffet, integriertem Räucherofen und Fischverarbeitungstisch, hat Schich gebaut. Die Front der Edelstahltheke ist mit PE-Folie beschichtet, die im Bereich der Frischetheken ein Fliesendekor, im Bereich von Brötchenauslage und Zapfanlage ein Rostdekor besitzt. Eine Heißgasabtauung gewährleistet eine schnelle (15 min.), aber schonende automatische Abtauung der Eistheke. Der Geschäftskunde stößt beim Betreten der Räume auf das Schich-Markenzeichen: ein drehbares Rondell für Frischfisch. Das insbesondere in den Vormittagsstunden mit frischem Dorsch, Scholle und Hering, aber auch Scampi und Krabben auf Eis bestückte runde Thekenelement dokumentiert die Fangfrische, für die die Fischereigenossenschaft auch beim Gast steht. Der „Treffpunkt Fischhalle“ ist seit Schließung des letzten Fischfachgeschäfts in Heiligenhafens ‚Innenstadt‘ die einzige Frischfisch-Theke. Wer als flanierender Tourist am Hafen beobachtet, wie gerade ein Gabelstapler der Genossenschaft die ‚Odin‘ mit neuen Fischkisten bestückt, wie der 25 Meter-Trawler am Eisturm über einen dicken Schlauch mit gut elf Tonnen Eis versorgt wird, um noch am selben Tag auf Fangfahrt vor Arkona auszulaufen, der baut auch auf die Frische in der angrenzenden Gastronomie. Frischfisch werde vor allem zwischen morgens 9:00 und 11:00 Uhr gekauft, und zwar insbesondere am Freitag und am Samstagvormittag, den Tagen des Bettenwechsels. Tropfsicher verpackt nehmen viele Sommerfrischler noch ein paar Mahlzeiten Frischfisch in die Heimatorte mit.
Scampis und Flundern aus dem Show-Ofen
An das Eisbett schließen eine Salat- und eine Marinadenabteilung mit Produkten des Hamburger Feinkost-Produzenten Niehusen an. Dazwischen bieten die Küstenfischer Rauchwaren an, die mehrheitlich von der in Kühlungsborn produzierenden Räucherei Nottorf stammen. Zwei-, dreimal am Tag wird jedoch ein eigener kleiner Show-Ofen bestückt, um geräucherte Flundern und Makrelen, aber auch Stremel und Scampis aus eigener Produktion anzubieten – und mit dem Räucherduft, der beim Öffnen wahrzunehmen ist, den einen oder anderen potentiellen Käufer lecker zu machen. Auch der Ofen mit Rauchgaserzeugung und einer Kapazität von 20 bis 30 Kilogramm je Räuchergang stammt von Schich.
Die rechte Hälfte der Theke ist in eine großzügige Brötchenabteilung mit zehn Variationen und einen Ausgabenbereich für die Warmspeisen unterteilt. Die Glasrückwand mit Drei-Schicht-Folie kann beschriftet werden und lässt sich von hinten beleuchten. Volkstümliche Preise und der Blick auf den Hafen sind neben der Produktfrische, Qualität und großzügiger Portionierung Gründe dafür, dass zur Mittagszeit in der Saison freie Plätze rar sind. Brötchen auf die Hand kosten zwischen 1,90 Euro mit hausgemachter Fischfrikadelle über 2,20 Euro für Matjes oder Makrelenfilet als Auflage bis in der Spitze 4,20 Euro für das saisonal hochpreisige Nordseekrabben-Brötchen.
Warmspeisen für den kleinen Hunger beginnen bei 2,50 Euro für den „Backfisch pur“ und Kibbeling mit Beilage und Sauce nach Wahl für 4,00 Euro. Bei den Tellergerichten legt die „Fischhalle“ das Schwergewicht auf regionale Arten aus der eigenen Fischerei: Hering – ob in Sahne, zwei Bratheringe sauer eingelegt, frisch gebraten oder als Matjesfilets nach Hausfrauenart – für 7,90 Euro, gebratenes Seelachsfilet für 8,90 Euro oder überbackenes Dorschfilet für 11,90 Euro. Die Liste schließt der Fischteller mit dreierlei Varianten ab – Dorsch-, Schollen- und Lachsfilet für 13,50 Euro.
Eine „Fischauktion“ für die Winterzeit
Den Raum für die Erweiterung hat die Genossenschaft durch die Umwidmung der großen Fischhalle erhalten. „Das Gros unseres Fischs liefern vier große Eurokutter von 24 und 25 Metern Länge, die heute direkt auf den Lkw löschen“, beschreibt Ulrich Elsner den Wandel. Zwei Drittel der Halle konnten deshalb in den Restaurantbetrieb einbezogen werden. Über einer 45 Zentimeter dicken Stahlbetondecke, die in die Halle gezogen wurde, lagern 3.000 Fischkisten, die die FG weiterhin für ihre Kutter benötigt. Das letzte noch fischwirtschaftlich genutzte Drittel der Fischhalle können die Gäste über ein Fenster einsehen: dort wird Fisch von Hand enthäutet und filetiert, für den direkten Verkauf, für die Küche oder die Lagerung in der Frostzelle vorbereitet. Diese Nähe zur Verarbeitung soll auch eine demnächst monatliche Veranstaltung herausstellen, die Ulrich Elsner ab Oktober regelmäßig anbieten will: eine „Fischauktion“. Keine Auktion im eigentlichen Sinne soll das werden, sondern eine Mischung aus Infotainment, Fischmarkt-Atmosphäre und preisgünstigem Fischeinkauf in Kilomenge, gemütlich bei einem Gläschen Chablis. Elsner: „Ich werde erzählen, dass der Fisch erst 24 oder 48 Stunden alt ist, wo er her kommt – und die Kunden können 5, 10 oder 15 Kilo kaufen, erhalten eine Nummer, holen den Fisch am Tresen eingeschweißt ab und können ihn zuhause in die Tiefkühltruhe legen.“
Veranstaltungen sollen Nebensaison beleben
Die „Auktion“ ist Teil eines auf fünf Monate angelegten Veranstaltungskanons, der von Oktober bis Februar wöchentlich Events anbietet: von der After-Work-Party über eine Lesung, eine Live-Musikverstaltung bis zur „Weinlese“: „Einmal wöchentlich stellen wir Weine vor, dazu gibt es ein leckeres Fischbuffet.“ Ziel sei es, die Fischhalle auch in der kalendarischen Randregion attraktiv zu gestalten und auszulasten – nicht zuletzt, um die Mitarbeiter über den Winter zu bringen. „Sie bekommen keine vernünftigen Mitarbeiter, wenn Sie keine Ganzjahresarbeitsplätze bieten“, spricht der FG-Chef aus Erfahrung. Einschließlich der Saisonarbeitskräfte beschäftigt die Fischhalle immerhin 28 Vollzeitkräfte. Als Mitinitiator der Heiligenhafener Hafentage im Juli oder des inzwischen im dritten Jahr organisierten Triathlons „Fisherman“ fühlt sich Ulrich Elsner diesen Herausforderungen durchaus gewachsen – Aufgaben, die offenbaren, dass diese Fischereigenossenschaft ihre Zukunft nicht ausschließlich als Absatzgesellschaft für Frischfisch sieht. Die FG ist auch Gesellschafter des neuen 200 Betten-Hafenhotels, das Heiligenhafen für gastroaffine Hotelgäste attraktiver machen soll. Im Geschäftsbericht schlagen sich die Veranstaltungen positiv nieder. Schon die Bilanz 2011 notiert unter dem Stichwort „Hafenfest“ einen Umsatz von 222.000 Euro.
bm
Beste Direktvermarktung des Jahres 2014