GeschmaXpiraten - Bestes stationäres Fischfachgeschäft 2013
GeschmaXpiraten, Rendsburg
Eine Symbiose aus Fischtheke, Bistro und Catering
Ein Bistro mit ambitionierter Küche und eine Frischfischtheke mit hochwertigem Einschlag kombinieren die „GeschmaXpiraten“ in der Vorkassenzone eines Edeka Marktes. Stephanie von Khuon-Wildegg und Jan Bracker nutzen intelligent die Verbindung von Bistro, Theke und Supermarkt. Ein Catering-Geschäft läuft noch nebenher. Nach eineinhalb Jahren zeichnet sich ab: das Konzept ist erfolgreich.
Mittags gegen 12:00 Uhr, in Rendsburg, mitten in Schleswig-Holstein: im großzügigen Eingangsbereich von Edeka Hauschildt geht es geschäftig zu. Im Bistro der „GeschmaXpiraten“ ist kaum ein Platz frei. Aus der fußläufigen Innenstadt kommen die Mitarbeiter der Sparkasse, Angestelle eines großen Steuerbüros und – quasi als „dritte Schicht“ gegen 14:30 Uhr – Leute vom Stadttheater. Und obwohl die Traditionswerft Nobiskrug eine eigene Kantine besitzt, essen auch Werftmitarbeiter hier im Bistro. Ein neugieriger Blick auf die Wochenkarte liefert eine erste Erklärung für den Andrang. „Jeden Tag was anderes auf dem Teller“ wirbt die in rot-schwarzen Lettern gehaltene Speisekarte für die dritte Januar-Woche. Die Hälfte der Tagesgerichte präsentiert in der Tellermitte Fisch und Meeresfrüchte: gebratene Riesengarnelen mit mediterranem Gemüse und Pasta am Dienstag, Dorschsteak mit Karotten-Wirsing, gerösteten Nüssen und Kartoffelecken am Donnerstag, gebratene Heringsfilets mit Gurken-Dillsalat und Kartoffeln am Fischtag Freitag und – quasi als krönender Wochenabschluss – Jakobsmuscheln mit Graupenrisotto und Himbeervinaigrette am Samstag. Kostenpunkt: jeweils 6,- Euro.
Erfahrung mit Sterne-Küchen und Veranstaltungsmanagement
Wichtig ist auch die kommunikative Kompetenz des Personals: die Köche müssen nicht nur kochen, sondern sich auch mit den Gästen unterhalten können. Das gleiche gilt für die Fischtheke.
Hinter dem fröhlich-frechen Bistro-Namen „GeschmaXpiraten“ stehen zwei ebenso engagierte wie fröhliche Küchenprofis. Stephanie von Khuon-Wildegg und Jan Bracker besitzen als berufsbiographische Schnittmenge die Hotelfachschule in Heidelberg. Während sie breite Erfahrung aus dem Veranstaltungsmanagement und Marketing mitbringt, kombiniert sein Lebenslauf Sterne-Küchen im kulinarisch anspruchsvollen deutsch-schweizerisch-französischen Grenzland mit Hotelprojektierung. Ein Verwandter hat den „waschechten Schleswig-Holsteiner“ und die „schwäbische Frohnatur“ – so die Selbstbeschreibung der beiden – wieder in den Norden geführt. „Mein Cousin wollte eine Fischtheke haben“, formuliert der Sterne-Koch den Auslöser. Der Aktiv-Markt liegt in einem Verbund mit einer Apotheke, einer DM-Drogerie und einem Aldi-Markt. Anfang 2011 erweiterte Marco Hauschildt seinen Edeka-Markt im Zentrum von Rendsburg um 1.100 auf jetzt 2.600 Quadratmeter. „Wir haben das Ganze gemacht, weil wir vier uns so gut verstehen, weil unsere Ideen und Spinnereien hier auf Widerhall getroffen sind“, beschreibt Jan Bracker das familiär-persönliche Verhältnis zwischen den frisch gebackenen Fischhändlern und den Edekanern.
Entstanden ist auf einer Fläche von 190 Quadratmetern eine Kombination aus sechs Metern Theke mit Frischfisch, Räucherfisch und Salaten und einem 65 Plätze-Bistro im Innenbereich, mit weiteren Sitzmöglichkeiten auf einer Außenterrasse in der wärmeren Jahreszeit; ein Fisch-Gastro-Geschäft mit Ambition – und einer Diskrepanz zwischen Location und Karte, zwischen Vorkassenzone und Küche mit Niveau. „Ich habe nur die anspruchsvolle Küche ohne Friteuse und Mikrowelle gelernt – Schnellküche kann ich gar nicht“, stapelt Jan Bracker tief und begründet, warum es bei den GeschmaXpiraten definitiv keinen Backfisch mit Kartoffelsalat, keine Bratkartoffeln aus dem Beutel, keine Curry-Wurst geben wird: „Es gibt keine Schnittmenge zum Imbiss, wir wollen diese harte Kante.“ Stephanie von Khuon-Wildegg spricht von anfänglichen Bedenken: „Da wir ein bißchen anders kochen, hatten wir Angst, dass es in Rendsburg nicht angenommen wird.“
Doch die Angst war unbegründet. Zunächst kamen die Edeka-Kunden nach ihrem Einkauf, um bei den GeschmaXpiraten zu essen – jetzt hat sich die Priorität bei manchen Kunden geändert: sie kommen zum Essen und gehen anschließend noch etwas einkaufen. Die Gäste schätzen, dass Steckrübe, Karotte und Sellerie hier frisch geschält werden, dass die Saucen noch mit Knochenmark angesetzt sind und keine Konservierungsstoffe enthalten. „Es gibt keinen TK-Beutel, den wir aufs Blech kippen.“ Kunden, die früher auch mal zu MacDonalds oder an die Döner-Bude gingen, sind jetzt Stammkunden bei den Piraten. „Einige sagen, sie hätten schon Gewicht abgenommen – nicht, weil es bei uns wenig gibt, sondern weil es bei uns Gutes gibt“, zitiert Stephanie von Khuon-Wildegg Stimmen aus dem Kreise der Stammkunden. Geschätzt 60 bis 70 Gäste kämen täglich, viele weitere zwei- bis viermal die Woche. Dass von 200 Essen etwa 120 bis 140 auf das Tagesgericht zu 6,- Euro entfallen, liegt auch an der Vielfalt. Etwa 300 Gerichte werden im Jahr auf der Tageskarte angeboten, vielleicht alle vier Woche würde ein „Renner“ wiederholt.
Tageskarte: Etwa jeden zweiten Tag Fisch
Immer wieder lassen sich die Fischhändler große Exemplare liefern. Die farblich oder ob ihrer Größe auffälligen Exoten oder auch Rotbarsche locken die Laufkundschaft an den Thresen
Zwei bis drei von den sechs wöchentlichen Tagesgerichten sind Fischgerichte. Die Budgetierung lasse es jedoch nicht zu, täglich Meeresgetier zu servieren, erklärt Jan Bracker, denn Fleisch ist günstiger. Die Preise auch für die Fischgerichte sind teilweise schon erstaunlich – das gestehen auch die Bistrobetreiber: „Eine ganze Scholle mit Kräuterquark oder Specksstippe für 6,- Euro – da geben wir einen aus. Oder das Lachssteak von 220g, ein Stück Fisch, von dem Sie satt werden, dazu leckeres frisches Gemüse – das sind Aktionen, die müssen mal rein, damit die Leute weiterhin fleißig zu uns kommen.“ Außerdem sei der Kieler Fischgroßhandel Eduard Wiese & Ivens Kruse bei der Abnahme von 50 Kilo Lachs bereit, von seiner Marge ein wenig abzulassen. Und schließlich fördern derartige Aktionen den Absatz an der Frischetheke: „Am Anfang haben wir dort wenig Lachssteak verkauft, sondern Lachs- und Seelachsfilet. Nachdem wir es für 6,- Euro zubereitet hatten, kaufen die Kunden auch mal zwei, drei Lachssteaks zum Wochenende.“
Große, farbige Exoten locken an die Theke
Offensichtlich wird die Verknüpfung mit der Frischfisch-Theke bei jenen Kunden, die weder Tagesgericht noch Bistro-Karte wählen, sondern sich einen Fisch aus der Theke empfehlen lassen – am Samstag sind das 10 bis 15 Gäste. „Ein älterer Herr wollte eigentlich Scholle essen, da haben wir ihm Hummer empfohlen. Wir haben ihm einen ganzen kanadischen Hummer in zwei Gängen mit verschiedenen Beilagen und Saucen serviert, eine Suppe vorweg, ein Glas Wein dazu – für 48,- Euro.“ Die Kunden werden vor die Fischtheke gebeten und können wählen – Juwelenbarsch, Zackenbarsch, Mahi-Mahi. „Schaffen wir zu viert einen ganzen Papageifisch ?“ fragte eine Gruppe junger Mädchen, die ein-, zweimal die Woche kommt. Den gewählten Fisch gibt es eine halbe Stunde später als Filet oder im Stück. Immer wieder lassen sich die Fischhändler große Exemplare liefern – eine Dorade von 5,5 Kilo, Mahi-Mahis von 5 bis 6 Kilo, einen Bonito von 11 Kilo. Ivens-Kruse weiß es zu schätzen, dass er an die Rendsburger Exoten verkaufen kann, die zwischen Hamburg und Flensburg sonst seltener gefragt sind. „Er ruft auch mal an, wenn jemand ihn mit drei Red Snappern hat hängen lassen.“ Die farblich oder ob ihrer Größe auffälligen Exoten locken die Laufkundschaft an den Thresen. Das Bistro minimiert das ökonomische Risiko: die Fische werden gleichzeitig auf einer dortigen Kreidetafel angeboten. Entsprechend gering ist der Verderb. „Unsere monatliche Abschriftenliste ist kaum eine halbe Seite lang. Der größere Teil sind Salate“, sagt Stephanie von Khuon-Wildegg.
Wichtig: die Kommunikation mit dem Kunden
Sukzessive führen die GeschmaXpiraten interessierte Rendsburger an das breite Thema Fisch heran. „Viele hatten uns vom Frontcooking abgeraten – sprich: Die Kocherei will keiner sehen, das sei überholt –, doch die Leute sind begeistert und gucken uns zu,“ beschreibt Jan Bracker die dynamische alltägliche Situation. Und wer einmal zugeschaut hat, wie ein Thunfisch gebraten wird, traut sich zuhause selbst an die Zubereitung des Fischs. Wichtig sei deshalb auch die kommunikative Kompetenz des Personals: die Köche müssen nicht nur kochen, sondern sich auch mit den Gästen unterhalten können. Dasselbe gelte für die Fischtheke. Er selber unterhält sich mit den Kunden – und schafft damit nicht zuletzt Zusatzumsätze, und sei es beim Cousin Marco Hauschildt: „Was haben Sie denn mit dem Lachs vor ? – Legen Sie noch Zitronengras mit in die Pfanne. – Der Kunde kauft im Laden Zitronengras.“
Absatzfördernd wirken auch kulinarische Themenabende, die die GeschmaXpiraten immer wieder anbieten. „Wir haben zur Umstellung auf die Sommerzeit mit einem ‚Sommeranfangs-Menü‘ für 19,- Euro begonnen: Garnelen als Vorspeise, Lachsfilet, ein Desert. Dann haben wir die Preise über 29,- und 39,- Euro auf zuletzt 69,- Euro für ein Fünf-Gänge-Menü mit begleitenden Weinen erhöht, ein für Rendsburger Verhältnisse hoher Preis. Und es ist so gut wie ausgebucht.“ Verkostungen werden durchgeführt mit Matjes, Grillprodukten, Forelle, Saibling und Skrei, außerdem mit Fischsalaten. Gelungen ist die angestrebte Aufwertung des Supermarktes. Vergleichszahlen belegen, dass seit Einrichtung des Bistros mehr Rinderfilet, teure Weine, Olivenöl oder Fleur de Sel (Meersalz) verkauft werden, außerdem Whisky, ein besonderes Fabel von Marco Hauschildt. „Das ist alles mehr geworden, weil Menschen, die sich einen Fisch gönnen, eine andere Affinität zum Essen haben“, zitiert Jan Bracker eine bekannte Erfahrung.
Lachs-Bugfilet und Thunfisch mit Sesam
In der Theke fallen einige Spezialitäten auf. ‚Die Räucherei‘ von Hans-Joachim Kunkel hat das Lachs-Bugfilet mit Zitronenpfeffer, den kaltgeräucherten Thunfisch mit Sesam schwarz/weiß ummantelt und die confierten Garnelen produziert. Deutsche See steuert saisonal variierend marinierten schottischen Gravadlachs bei – mit Orange und Zimt zur Weihnachtszeit, Caipirinha-Lachs im Sommer. Zahlreiche Convenience-Produkte stellen die GeschmaXpiraten und ihre Mitarbeiter in der eigenen Küche her: Hickory-Matjes (nach Matjes Art), Hornhecht und Makrele sauer eingelegt, marinierte Fischportionen, Grillprodukte oder Jakobsmuschel-Garnelen-Spieße.
Das Salatsortiment ist aus den Produkten von insbesondere vier Herstellern (Beeck, Lauenroth, Peter Witt/Mayo, Seestern) und wenigen eigenen Erzeugnissen kombiniert. „Der Krabbensalat wurde traditionell im Markt hergestellt, zumal wir die Krabben über den Edeka-Einkauf sehr günstig beziehen“, erwähnt Lars Bracker einen selbstgemachten. Auch der Miesmuschelsalat ist „hausgemacht“. Ein relativ neuer Salat ist der braune Hijiki-Algensalat, der schärfer ist als der etablierte grüne Wakame mit Sesam. Beim Roten Heringssalat wird eine mildere Variante von „Peter Witt“ und eine säuerlichere von Seestern angeboten – beide haben ihre Fans. „Da wir nicht genug Thekenfläche haben, tauschen wir immer wieder durch.“ Insbesondere zur Mittagszeit sind Fischbrötchen gefragt, an guten Tagen gehen 100 bis 150 Stück über die Theke.
Hochwertiges Catering mit Frischfisch
Ein drittes Standbein der GeschmaXpiraten ist neben Bistro und Frischetheke hochwertiges Catering. „Der Catering-Markt ist in Rendsburg ganz gut versorgt, aber es gibt kein vernünftiges Catering mit frischem Fisch“, zeigt Jan Bracker eine Marktlücke auf. Nachdem Bistro und Theke – „das, was man sieht!“ – aufgebaut worden sind, wollen sich die beiden verstärkt um dieses Geschäftsfeld kümmern, das bislang nicht beworben werde. Und dennoch: ein, zwei Platten-Aufträge für 10 bis 50 Personen würden auch jetzt schon wöchentlich ausgeführt. Erste Veranstaltungserfahrungen im Norden haben sie bei der Feinschmecker-Nacht des Stadtfestes „Rendsburger Herbst“ Ende August gesammelt, die von den örtlichen Edeka-Märkten Hauschildt und Plikat am Obereiderhafen organisiert wurde. Die GeschmaXpiraten übernahmen unter den zwölf Feinkost-Ständen den Seafood-Part mit Lachs, Garnelen, Matjes und einer Fischsuppe für 350 Gäste.
„Man kann den Gesamtmarkt aufwerten“
Keine zwei Jahre nach ihrem Start sind Stephanie von Khuon-Wildegg und Jan Bracker sehr zufrieden: „Bistro und Fischtheke haben zusammen fünf Prozent des Edeka-Umsatzes. Wenn wir das Catering mit hinzurechnen, liegen wir über‘m Plan.“ Die Betriebsabläufe sollen noch optimiert, die Abschriften minimiert, das Catering beworben werden. Jan Bracker sieht jedoch schon zweierlei bewiesen: „Zum einen, dass man mit Gastronomie und Fisch ein paar Euro verdienen kann, und zum anderen, dass man den Gesamtmarkt auf diese Weise aufwertet.“ Langfristig denken die GeschmaXpiraten über eine Multiplizierung ihres Geschäfts nach. „Vielleicht in Richtung Kiel oder Hamburg. Wenn wir einen vernünftigen Stamm von Lieferanten haben, könnten wir sie im Umkreis von 50 bis 80 Kilometern ‚mitnehmen‘“, umreißt Stephanie von Khuon-Wildegg die Expansionspläne. Wichtig: „Wir müssen Partner finden, mit denen wir abends genauso wie mit den Hauschildts bei einem Glas Wein besprechen können, was wir machen wollen – dann macht es Spaß, obwohl es Arbeit ist.“ bm
Bestes stationäres Fischfachgeschäft des Jahres 2013