Lachsräucherei von SER - Sonderpreis Unternehmerischer Mut 2023
Sions Eifeler Räucherkammer „von SER“
„Wir hatten Wasser auf 500 Quadratmetern“
Seit Gründung 1991 hat sich Familie Sion mit Sions Eifeler Räucherkammer einen Ruf für ihre Lachsspezialitäten erworben. Im Juli 2021 zerstörte die Flut im Ahrtal Produktion, Geschäft und Restaurant der Räucherei „von SER“. Unverdrossen starteten Dörte und Stefan Sion umgehend den Wiederaufbau: die Produktion lief bereits Ende 2021, Geschäft und Restaurant öffneten im Sommer 2022.
Es war eine Jahrhundertflut, eine Katastrophe von historischer Dimension. Der Wasserpegel der Ahr, eines Nebenflusses des Rheins, stieg aufgrund starker und anhaltender Regenfälle auf sieben Meter. Bei der Flutkatastrophe starben mehr als 180 Menschen, davon alleine 135 im Ahrtal, zahlreiche Ortschaften und Städte wurden verwüstet. Von den Fluten an der Ahr war auch die Ortsgemeinde Müsch im Landkreis Ahrweiler betroffen. Auf dem Campingplatz Stahlhütte starben sechs Menschen, eine junge Feuerwehrfrau aus Müsch kam im Einsatz ums Leben. Knapp dreieinhalb Kilometer ahrabwärts liegt direkt am Fluss Sions Eifeler Räucherkammer.
Edgar Sion musste Katastrophe nicht mehr erleben
Die Küche verantwortet Stefan Sion, der sich in verschiedenen Küchen, darunter Sterne-Häuser, zum Koch ausbilden ließ, bevor er in den elterlichen Betrieb zurückkehrte.
30 Jahre zuvor – 1991 – hatte Edgar Sion hier den Grundstein für die Lachsmanufaktur der Familie gelegt. Drei Jahrzehnte, in denen der Name Sion oder auch die Abkürzung „von SER“ nicht nur im weiteren Umkreis, sondern bei qualitätsbewussten Kennern auch bundesweit zum Begriff wurde für kreative Spezialitäten insbesondere vom Lachs – sei es der Bärlauch- oder Caipirinha-Lachs, der Rotholz- oder der Wasabi-Lachs oder die Lachspasteten. Der passionierte Gründer erlebte die Katastrophe vom Juli 2021 nicht mehr – er starb bereits im April des Jahres im Alter von gerade einmal 58 Jahren.
Seine Frau Dörte und Sohn Stefan, die die Lachsmanufaktur weiterführen, erlitten keine drei Monate nach dem familiären Verlust mit der Ahr-Flut den nächsten Schlag: Die Fluten vom 14./15. Juli trafen auch die Eifeler Manufaktur. Der Wasserpegel der Ahr, der normalerweise einen halben Meter beträgt, stieg zeitweilig auf sieben Meter. „Wir hatten Wasser im ganzen Gebäude, von vorne bis hinten, auf einer Fläche von 500 Quadratmetern – in der Produktion, der Gastronomie, der Küche, im Ladengeschäft“, beschreiben Dörte und Stefan Sion das Ausmaß des „Hochwassers“, das gerade einmal vier Stunden dauerte. Bis über die Fenster des Erdgeschosses stand das Wasser der Ahr. Die Uferzone ist heute kaum wiederzuerkennen. Im ersten Corona-Jahr hatten die Sions das Flussufer auf der der Manufaktur gegenüberliegenden Straßenseite noch genutzt, um für ihre Gäste in Pandemie-Zeiten Tische und Sitzgelegenheiten aufzustellen – „damals hatten wir ja noch ein Ufer“, meint Dörte Sion trocken. Doch die Flutkatastrophe hat Verlauf und Breite der Ahr verändert, hat einen freien Blick auf den Ort Müsch geschaffen, wo vorher Baumbestand war.
„Wir haben einfach angefangen“
Wie hat die Familie Sion angesichts dieses Ausmaßes an Zerstörung reagiert ? „Wir haben einfach angefangen“, erinnert sich Stefan Sion – und zwar noch bevor es Zusagen von der Versicherung gab: „Wir haben alles, was wir gemacht haben, mit Bildern dokumentiert.“ Denn auf die Reaktion der Versicherung zu warten, hätte zeitliche Verzögerung bedeutet, zumal auch die Assekuranz der Lachsmanufaktur in Altenahr von der Flut betroffen war, deren Büroräume geflutet. Gut ein Jahr lang dauerte die Renovierung. Das Gebäude wurde bis auf die Grundmauern entkernt. Der Wandputz wurde entfernt, Zwischen- und Trennwände ebenfalls, sämtliches Mobiliar musste raus. „Rundherum war alles mit Holz vertäfelt, überall waren Vorsatzwände und vieles war mit Rigips verputzt“, beschreibt Stefan Sion die Situation. Die Spanplatten waren verdorben, massives Holz hingegen hatte sich gehalten. Die Sions mögen nicht an die Möglichkeit denken, dass sich eine derartige Flut wiederholen könnte, doch bei der Renovierung wurde diese Eventualität berücksichtigt, erklärt Stefan Sion. Die Steckdosen wurden relativ hoch verlegt, die Wände statt mit Gips mit beständigem Zement verputzt. Thekenmöbel und Rückschränke sind jetzt aus Kunststoff, mit Holz furniert.
„Wir haben zunächst Wert darauf gelegt, die Produktion so schnell wie möglich wieder ins Laufen zu bekommen, um vor Weihnachten wieder produktionsfähig zu sein und das Weihnachtsgeschäft mitzunehmen“, sagt der Junior. Die Altonaer Öfen standen glücklicherweise relativ hoch. Auch die übrigen, für den Einsatz in Feuchträumen konzipierten Maschinen wie der Vakuumierer von Böttcher oder die Geba-Schneidemaschine hätten die vier Stunden im Wasser ganz gut weggesteckt.
Tatsächlich lief die Räucherei zum 1. November 2021 wieder. „Das war gerade für den Großhandel wichtig, denn es ist nicht selbstverständlich, dass die auf einen warten. Aber: 99 Prozent unserer Kunden sind wieder zurückgekommen.“ Gut eine Tonne Fischspezialitäten werden dort von vier Mitarbeitern wöchentlich produziert, zur Weihnachtszeit das Drei- bis Vierfache.
Neueröffnung im Juli und August 2022
Mitte Juli 2022 konnte Sions Eifeler Räucherkammer zunächst wieder das Ladengeschäft mit Frischetheke neu eröffnen, Anfang August folgte die Wiederaufnahme des Restaurantbetriebs. Wo ursprünglich eine freistehende halbrunde Frischfischtheke stand, sollten Konsumfischfilets und Forellen aus der Region eigentlich in einem Rondell von Schich präsentiert werden. „Wir hatten den Auftrag bereits erteilt, aber mussten uns dann ein neues Unternehmen suchen“, berichtet Dörte Sion. Denn: nach dem Tod von Inhaber Erich Schich eine Woche vor dem Flutereignis war unklar, ob der Bremerhavener Ladenbauer weiter operativ bleiben würde. So lieferte Ladenbauer Kramer aus Umkirch bei Freiburg die Thekenanlage.
Seit Mitte Juli gibt es nun auch im Ladengeschäft von SER wieder die Lachsspezialitäten. Alleine neun Lachsseiten mit jeweils eigener Geschmacksrichtung liegen in der Theke. Wer sie testen will, kann zur Probierpackung mit immerhin sechs Variationen greifen. Die enthält beispielsweise Räucherlachs mit Padouk-Rotholzpulver, mit Wasabi-Sesam, Gewürzlachs mit buntem Gewürz-, Senf- und Pfeffer-Topping, Nusslachs mit gerösteten Pinien- und Kürbiskernen, Walnüssen und Pistazien sowie zwei gebeizte Versionen – den erfrischend-fruchtigen Caipirinha-Lachs und den mit Kokosblütenzucker, Senfsaat und Dill veredelten Graved Lachs. Weitere Varianten: ein kaltgeräucherter Bärlauch-Lachs mit feinem Knoblaucharoma und „Der Tasmane“ mit tasmanischem Bergpfeffer und Ginseng – „einmalig in Deutschland“.
Kunden wehren sich gegen Saisonalität
Keinen Anklang fand der Versuch, einige Spezialitäten nur saisonal anzubieten, sagt Dörte Sion: „Obwohl wir unseren Bärlauch selber trocknen, wollten wir den Bärlauchlachs nur noch in der Bärlauch-Saison verkaufen. Aber wir konnten ihn nicht weglassen: die Leute wollten ihn haben.“ Dasselbe passierte beim Nusslachs, den die Sions „Herbstlachs“ nannten, und beim Caipirinha-Lachs, der zunächst als Sommerlachs lief: „Auch da haben wir gedacht: den machen wir nur den Sommer über. Aber: No chance. Die sind alle ganzjährig im Programm geblieben.“ Nur zwei Produkte werden ausschließlich seit Jahren saisonal angeboten, und zwar zur Weihnachtszeit: der „Winterlachs“, heißgeräuchert mit Sternanis und Zimt, und der „Orangenlachs“, kaltgeräuchert mit Orangenöl und -zesten.
Warmgeräuchertes und Terrinen runden das Sortiment ab. Die Stremellachs-Medaillons gibt es naturell, mit Zitronenpfeffer und Limonenjulienne oder Knoblauch-Thymian. Hinter „Frühlingslachs“ verbirgt sich ein warm geräucherter Lachs, der sich, mit roten Meeresalgen dekoriert, aufgrund seiner Zartheit auch als „Löffellachs“ eignet. Die gebackenen Lachsterrinen aus reinem Lachsfleisch gibt es einmal mit leichtem Pfefferrand und einmal mit frischen Gemüsen, einem Lachskern im Noriblatt und optisch ansprechendem Topping von roten Meeresalgen.
Neben dem Kernsortiment Lachs werden in Müsch Lachsforelle, Saibling, Makrelenfilets und Heilbutt (als Steak oder Medaillon) geräuchert. Der Räucheraal stammt von Wechsler Feinfisch aus dem nahen Erftstadt, die Räucherforellenfilets werden ebenfalls aus der Eifel zugekauft. Selbstgemacht sind wiederum die Salate, ein fokussiertes Angebot aus Kartoffelsalat, Heringssalat rot/weiß und Heringsstipp, Räucherlachs-Tatar und Zupflachs-Salat, außerdem wechselnd Pulpo-, Garnelen- oder Muschelsalat.
„Optisch sehr ansprechend serviert“
Drei Wochen nach Neueröffnung des Geschäftes starteten die Sions auch ihren Restaurantbereich wieder. Der örtliche Schreiner hat die in klaren Linien gehaltene Möblierung aus furnierten Holzmöbeln eigens angefertigt.
Gut drei Wochen nach Neueröffnung des Geschäftes starteten die Sions auch ihren Restaurantbereich wieder. Der örtliche Schreiner hat die in klaren Linien gehaltene Möblierung aus furnierten Holzmöbeln eigens angefertigt. Die Küche verantwortet Stefan Sion, der sich in verschiedenen Küchen, darunter Sterne-Häuser wie das Parkrestaurant Nodhausen in Neuwied, zum Koch ausbilden ließ, bevor er in den elterlichen Betrieb zurückkehrte. „Er hat sich im Laufe der Zeit auch viel selbst angeeignet und eine eigene Kreativität eingebracht“, lobt Dörte Sion den Sohn. Die Anrichtung der Gerichte lässt spüren, dass der Junior in der gehobenen Gastronomie gelernt hat. Die Gäste goutieren die sorgsame Küche. „Genussvolle Qualität von Fisch, dazu optisch sehr ansprechend serviert“, kommentiert eine Besucherin bei Google. Stefan Sion beschreibt den eigenen Anspruch: „In die Sterne-Gastronomie wollen wir gar nicht: Wir wollen den Leuten einfach ein gutes, frisches und leckeres Essen zu einem fairen Preis geben. Wir haben Spaß daran und der Gast soll es auch spüren.“
In der Regel ist das Restaurant von Dienstag bis Samstag ausschließlich mittags geöffnet. „Das Konzept: dass die Leute zum Essen und zum Einkaufen kommen“, erklärt Stefan Sion. Dennoch sei es immer voll und ohne Reservierung nur schwer ein Platz zu bekommen. Zweimal im Monat, jeden 1. und 3. Freitag, öffnen die Sions auch abends. „Wir haben das Haus dann ausgebucht.“ Auf der Karte gibt es ausschließlich Fischgerichte. „Wird etwas anderes gewünscht, machen wir gerne etwas Vegetarisches, weil unsere Küche sehr von frischem Gemüse geprägt ist.“
Pochiertes Schollenröllchen, confirtes Lachsmedaillon
Die Speisekarte wird alle zwei Wochen gewechselt. Kulinarische Impressionen von Anfang Oktober: als Vorspeise wahlweise Räucherlachs-Zwiebelkuchen mit Schmand, gepickelten Zwiebeln und Apfel-Chutney oder gezupfte Makrele, eingelegter Kürbis mit Wildkräutersalat und einer Limoncetten-Vinaigrette, als Suppe eine Kürbisschaumsuppe mit steirischem Kürbiskernöl und gebratener Jakobsmuschel. Nach einem „Zwischengericht“ – pochiertes Schollenröllchen, Kerbelwurzel, Muscheln und tomatisierter Muschelsud – stehen drei Hauptgerichte zur Wahl: erstens Kohlroulade vom Victoriabarsch, Wirsing, Steinpilze und gebackene Kartoffel, zum zweiten confirtes Lachsmedaillon, Artischocke, Topinambur, Polenta, Mais, Röstzwiebelsoße und gepickelte Perlzwiebeln und schließlich auf der Haut gebratenes Zanderfilet „Himmel un Äd“, Champagnerkraut und Boudin noir – eine Blutwurst. Wir schließen mit einem weiteren Zitat eines Gastes aus diesem September: „Toll, wie Familie Sion es geschafft hat, aus dem Flutschlamm heraus wieder eine wunderschöne Anlaufstelle für Eifel-Gourmets zu werden. Herzlichen Glückwunsch!“ bm
Sonderpreis Unternehmerischer Mut des Jahres 2023